Dienstag, 5. Mai 2015

Gelesen: "Der Marsianer" von Andy Weir

Mal wieder möchte ich euch ein Buch vorstellen, das ich vor einigen Wochen gelesen habe. Es handelt sich um einen Roman, der erstaunlicherweise die Faktenlage eines Hard-Science-Fiction mit der erzählerischen Leichtigkeit einer romantischen Komödie verbindet - oder so ähnlich. (Achtung: Spoiler im hinteren Teil - zumindest wenn man ernsthaft glaubt, der Roman könne ein anderes Ende nehmen, als er nimmt. :-) )

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Der Marsianer

Ich gestehe, dass ich das Buch anfangs nicht gut finden wollte. Wieder so ein US-Debütautor, der mit seinem ersten Roman von null auf hundert in den Star-Himmel aufsteigt, Übersetzung in fünfzehn Sprachen, Filmrechte an Ridley Scott verkauft, da wird man doch grün vor Neid. Aber es ist ein Science-Fiction und ich mag Science-Fiction. Also habe ich „Der Marsianer“ von Andy Weir dann doch gelesen – und wurde bekehrt!


Astronaut Mark Watney ist ein privilegierter Mann. Er gehört zu den wenigen Menschen der Erde, die einen Fuß auf die Oberfläche des Mars setzen dürfen. Schön, er ist nur Mitglied von Ares 3, der dritten bemannten Expedition zum roten Planeten, und genau genommen ist er auch nur das rangniedrigste Mitglied, aber immerhin: Er ist auf dem Mars. Rasch jedoch wird dieser wahr gewordenen Traum zum Albtraum, denn seine Truppe muss ihre Mission wegen eines starken Sandsturms abbrechen. Auf dem Weg zum Marsrückkehrmodul, das sie wieder in die Umlaufbahn bringen soll, wird Mark verletzt. Seine Freunde halten ihn für tot, finden ihn im Sturm auch nicht mehr wieder und fliegen ab – ohne ihn. Wie er merkt, als er wieder aufwacht. „Ich bin so was von im Arsch“, lautet der schöne erste Satz des Romans, der die Lage treffend zusammenfasst.

In der Folge wird daraus eine erstaunliche Geschichte. In einer Robinsonade der galaktischen Art beschreibt Autor Andy Weir, wie Mark Watney zu überleben versucht, mit dem, was er auf dem Mars noch hat. Das ist zum Glück noch einiges, beispielsweise Vorräte für fast ein Erdenjahr, ein Wohnmodul, Solarzellen für Energie, ein Wasseraufbereiter, ein Oxygenator. Es könnte schlimmer sein. Bedauerlicherweise trifft Ares 4, die Mission, die ihn nach Hause bringen könnte, erst in vier Jahren ein. Bis dahin ist er längst verhungert, wenn ihm nicht etwas einfällt. Ich will nicht im Detail verraten, zu welchen Tricks Watney greift, um zu überleben, aber er erweist sich im Laufe des Romans als wahrer McGyver, dem immer noch ein biologischer oder chemischer Kniff einfällt, um sich aus brenzligen Situationen zu retten.

Und brenzlige Situationen gibt es immer wieder. Hier beweist Andy Weir ein gutes Händchen. Immer, wenn man als Leser glaubt, dass sich Watneys Lage jetzt doch recht gut stabilisiert hätte, passiert etwas Unerwartetes, das ihn vor die nächste Herausforderung stellt. Dabei sind die Probleme oft hausgemachter Natur, entstehen etwa durch Unachtsamkeit oder Unwissen. Ein naturwissenschaftlich-technisch gebildeter Leser könnte sie also vorhersehen, als Laie staunt man dagegen jedes Mal aufs Neue, wie es dem Autor gelingt, nicht nur überzeugende wissenschaftliche oder technische Lösungen für knifflige Fragen des Überlebens zu präsentieren, sondern auch noch Fehler einzubauen, die Watney macht, nur um danach modifizierte überzeugende Lösungen zu präsentieren. Laut Biographie ist Andy Weir Softwareentwickler, also nicht von Natur aus etwa ein Biochemiker oder Elektroingenieur. Die Recherchearbeit, die er in diesen Roman gesteckt haben muss, nötigt daher gleich doppelt Respekt ab.

Trotzdem ist „Der Marsianer“ keine knochentrockene Hard-SF, und das ist das eigentliche Wunder. Andy Weir lässt Mark Watney seine Geschichte in Logbucheinträgen erzählen, und diese sind von launigen Kommentaren nur so gespickt. Wir haben hier also Hard-SF, die stellenweise im leichten Tonfall einer romantischen Komödie erzählt wird. Bridget Jones auf dem Mars. Das ist ebenso ungewöhnlich wie zweifellos ein weiterer Grund für den Erfolg des Romans. Denn Watney erklärt sein Tun stets so, dass auch Leser, die keine Ahnung von Raumfahrt und ihren Tücken haben, ihm halbwegs gut folgen können, bei ihm bleiben und über seine Selbstironie und seine schrägen Kommentare lachen.

Psychologisch mag die Figur dadurch etwas fragwürdig sein, denn Watney hat zwar zwischendurch Selbstzweifel, aber richtig am Ende ist er nie. Er wird als Machertyp präsentiert, unkaputtbar, immer ziel- und lösungsorientiert, auch wenn sich eine ganze Welt gegen ihn verschworen hat. Dass er etwa sterben könnte, daran glaubt man als Leser keine Sekunde. Dafür hat er den Mars – bei allen Problemen – zu gut im Griff. Gegen Mitte des Romans setzen entsprechend ein paar Ermüdungserscheinungen ein, denen Andy Weir mit einem Kunstgriff entgegenwirkt. Denn plötzlich bringt er die Perspektive der NASA ins Spiel, die von Watneys Überleben erfährt und nun alles dran setzt, um ihn zu retten. Die dramatische Rettungsaktion, die ihre eigenen Herausforderungen und Rückschläge erlebt, bringt zusätzliche Spannung in die Handlung, wenngleich man – erneut – eigentlich nicht an ein Scheitern glaubt. Hier geht es mehr um das „Wie“ als um das „Ob“.

Vielleicht wäre der Roman noch intensiver geworden, wenn trotz all der Kämpfe Watney nicht hätte gerettet werden können. Andererseits ist er dann doch zu sehr seiner Hollywood-Dramaturgie verpflichtet. Ein Mann, der alles gibt, der sich nie unterkriegen lässt, hat den Sieg und das Mädchen und den Ritt in den Sonnenuntergang am Ende verdient. Für Watney ist es der Flug nach Hause. Und der Leser wird mit einem der besten Schluss(ab)sätze belohnt, den ich je in einem Roman gelesen habe.

Fazit: Mit „Der Marsianer“ ist Andy Weir ein richtig guter Science-Fiction gelungen. Das Hard-SF-Thema wird durch seine humorvolle Erzählweise aufgelockert und dadurch auch für Leute zugänglich, die beispielsweise Arthur C. Clarke für zu trocken halten. Spannend, abwechslungsreich und mit einem enormen Rechercheraufwand beschreibt der Autor den Überlebenskampf seines Mark Watney auf dem Mars, einzig im letzten Drittel, nach einem dramaturgisch etwas ungeschickt gelösten Zeitsprung von 160 Tagen, verliert der Roman etwas an Zugkraft. Aber das ist auch der einzige Kritikpunkt, und der spielt eine untergeordnete Rolle angesichts der Stärken der Geschichte. Für SF-Liebhaber sowieso zu empfehlen, aber auch Freunde von Spannungsliteratur sind hier gut aufgehoben, denn trotz seines kosmischen Settings bleibt das Abenteuer des Mars-Robinsons Watney immer gut geerdet und fordert dem Leser keinen Doktorgrad in Nerd-Technologien ab.

Der Marsianer
Science-Fiction-Roman
Andy Weir
Heyne 2014
ISBN: 978-3-453-31583-9
512 S., broschiert, deutsch
Preis: EUR 14,99

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